Bindungsangst: Die 10 Anzeichen und Auslöser bei Frau & Mann

Daniel wollte um 20 Uhr vorbeikommen. Weil sie an diesem Abend besonders gut aussehen wollte, hatte sich Sarah extra noch die neuen Stiefel gegönnt. Doch die blieben im Flur stehen. Denn Daniel kam nicht. Auch nicht, nachdem Sarah mehrmals versuchte, ihn anzurufen. An diesem Abend wusste sie, dass sie das Spiel leid war. Irgendetwas musste sich ändern.

Sarah hatte Daniel auf einer Party kennengelernt und er gefiel ihr sofort. Er hatte so etwas Geheimnisvolles. Die ersten drei Wochen sahen sie sich ständig. Doch dann machte er sich immer öfter rar, vor allem, wenn sie etwas planen wollte. Die Wochen, die dann kamen, brachten Sarah vor allem Frust und viele Abende, an denen sie ihre mit viel Aufwand zubereiteten Gerichte allein essen musste. Sie trennte sich immer wieder. Doch jedes Mal, wenn sie den Mut fasste, sich zu verabschieden, kam Daniel immer wieder zurück.

Daniel hat massive Bindungsprobleme. Sarah auch. Beide befinden sich in einem Teufelskreis aus Flucht und Näherungsversuchen. Je mehr Daniel flieht, desto mehr klammert Sarah. Je mehr Sarah versucht, sich von Daniel zu lösen, desto interessanter wird sie für ihn.

Auch wenn Sarah das vielleicht nicht bewusst ist: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, würde sie es noch gar nicht aushalten, einen Mann an ihrer Seite zu haben, der sich wirklich committet, sich also exklusiv und verbindlich auf sie einlassen würde. Im Grunde gibt ihr Daniels Fluchtverhalten die Sicherheit, sich überhaupt auf ihn einzulassen – auch wenn sie das nicht bewusst weiß und sehr unglücklich damit ist.

Unter Bindungsangst versteht man, dass es jemanden schwerfällt, sich auf eine verbindliche Liebesbeziehung zu einem Menschen einzulassen. Viele Betroffene haben in ihrer Kindheit zu wenig bedingungslose Liebe und stabile Beziehungen, in denen sie sich sicher fühlten, erlebt. Manche litten darunter, dass Bezugspersonen zu wenig interessiert und präsent waren, andere wiederum darunter, dass sie regelrecht mit Zuwendung bedrängt wurden. 

Da diese Zuwendung jedoch meist an Bedingungen geknüpft war, haben sie Liebe mit Abhängigkeit gleichgesetzt. Bindungsangst kann aber auch entstehen, wenn erste Liebesbeziehungen im Jugendalter schmerzvoll verliefen oder man als Erwachsener von seiner Partnerin oder seinem Partner schwer enttäuscht wurde.

Vielen Menschen ist ihre Bindungsangst nicht bewusst. Im Grunde verstehen sie nicht, warum es mit der Liebe nicht klappt.

Wie entsteht Bindungsangst?

Meist sind Bindungserlebnisse aus der Kindheit eine Ursache dafür, dass Menschen Angst davor haben, sich tiefer auf einen Liebespartner einzulassen: Die Eltern oder Bezugspersonen haben eine spannungsreiche Beziehung vorgelebt. Das Kind hat miterlebt, wie sie ständig gestritten haben. Einer der Elternteile hatte Affären. 

Die beiden Elternteile waren nicht gleichberechtigt, einer von beiden war überlegen, der andere unterlegen. Das Kind musste miterleben, wie ein Elternteil gegenüber dem anderen gewalttätig war. Die Eltern ließen sich trennen und das Kind konnte den Auszug von Vater oder Mutter nicht verwinden.

Aber auch Kinder, die zu behütet aufgewachsen sind, die ständig bestimmte Leistungserwartungen erfüllen mussten, die wenig Freiraum eingeräumt bekamen, haben nie gelernt, in einer Beziehung zu leben, in der sie einerseits sicher und geborgen waren und andererseits ausreichend unabhängig sein durften. Denn die beiden Verhaltenssysteme Bindung und Autonomie, im Sinne der Erforschung der Umwelt sind auf wichtige Art und Weise miteinander verknüpft.

Wer als Kind solche Bindungsformen erleben musste, bleibt als Erwachsener verständlicherweise oft unnahbar. Sucht ein anderer Mensch Nähe, wird das schnell als Bedrohung erlebt.

Aber auch Erwachsene können derart verletzende Erfahrungen mit einem Liebespartner machen, dass sie sich häufig erst nach einer langen Dauer der Aufarbeitung wieder auf einen anderen Menschen einlassen können. 

Gerade Menschen, die es geschafft haben, eine Liebesbeziehung mit einem narzisstisch gestörten Partner hinter sich zu lassen, brauchen häufig sehr viel Zeit, wieder offenen Herzens auf einen anderen Menschen zuzugehen.

Symptome von Bindungsangst

Bindungsangst kann sich völlig verschieden zeigen und abhängig vom Auslöser unterschiedlich stark ausfallen. Die wohl noch harmlosere Form kann sein, dass der bindungsängstliche Partner einmal nicht auf eine Textnachricht antwortet. Schwerwiegender wird es, wenn er dann wochenlang nicht mehr ansprech- oder auffindbar ist. Dann kann es wiederum vorkommen, dass er ständig nach Fehlern beim anderen sucht, sich emotional zurückzieht und auch ganz konkret ab und zu das Weite sucht.

Bindungsangst: ambivalentes Verhalten

Typisch für Menschen mit Bindungsangst ist es, dass sie nach einem intensiven und romantischen Beginn einer Beziehung plötzlich damit beginnen, Schwächen des Partners in den Fokus zu nehmen, so als könnten sie das Gute nicht ertragen. 

Und das können sie auch nicht, denn so ganz trauen sie dem Frieden nicht und müssen sich ihrem inneren Programm entsprechend auf mögliche böse Überraschungen einstellen. Und dabei fühlen sie sich am sichersten, wenn sie selbst die Harmonie erschüttern. 

Daniel aus dem Fallbeispiel etwa erkannte als kleines Kind, dass Beziehung etwas mit Macht und Gewalt zu tun hat, dass er sich schützen muss und dass er besser daran ist, wenn er sich auf niemanden wirklich tief einlässt.

Die natürlichen Erwartungen des Partners nach Nähe, Verbindlichkeit und einer gemeinsamen Zukunft teilen sie zwar, aber sie haben all das bei ihren Eltern und Bezugspersonen als so bedrohlich erlebt, dass sie diese Erwartungen nicht offen erwidern können. Denn sie wissen, was sie nicht wollen, nämlich all den Stress, Kampf und die Zerstörung, die sie zuhause miterleben mussten. Aber sie wissen einfach nicht, wie sie eine Beziehung aktiv so gestalten können, dass sie ihnen guttut.

Verständlicherweise lässt der Stress, der dadurch innerlich ausgelöst wird, das sexuelle Verlangen abklingen. Und so paradox es klingt: Je liebevoller der Partner den Betroffenen in seinen Alltag lässt, desto größer wird der Fluchtreflex. Doch das wird nicht reflektiert, weil es zu wenig bewusst ist. Stattdessen sucht der Betroffene nach Gründen, den Partner abzuwerten.

Ab welchem Zeitpunkt der Fluchtimpuls den Bindungsängstlichen ergreift, hängt von der Ausprägung der Bindungsangst ab. Manche brechen schon beim Flirten ab, andere nach dem Einzug in die gemeinsame Wohnung. Manchen dämmert erst vor dem Traualtar, dass es nun ernst wird. Je verbindlichere die Formen, die eine Beziehung annimmt, desto offener tritt die Bindungsangst zutage.

Da der Betroffene sich weiterhin nach einer erfüllten Beziehung sehnt, er aber immer wieder seinen Partner mit Rückzug verletzt, pendelt er in seinem ambivalenten Verhalten hin und her.

Hat dein Partner Bindungsangst? Habe ich Bindungsangst?

Diese Verhaltensweisen können ein Hinweis darauf sein, dass du oder dein Partner Bindungsangst empfinden:

 

  • Du kannst dich nicht richtig auf sie oder ihn einlassen, weil du denkst, es gibt noch jemanden, der viel perfekter zu dir passt?
  • Obwohl dir die Frau oder der Mann, die oder den du kennengelernt hast, sehr gut gefällt, tauchst du nach den ersten Dates plötzlich ab, weil es dir plötzlich zu viel – was du selbst überhaupt nicht verstehst?
  • Du lässt dich auf mehrere Partner gleichzeitig ein, auch wenn du eigentlich weißt, dass sich das nähere Kennenlernen des einen Partners lohnen würde?
  • Du wechselst heftig zwischen Nähe und Distanz?
  • Du ziehst dich plötzlich emotional zurück, obwohl ihr euch gerade nähergekommen seid?
  • Du gehst auf Abstand und widmest dich verstärkt deinem Job oder deinen Hobbies, obwohl der verstärkte Einsatz nicht unbedingt notwendig ist?
  • Du verhinderst körperliche Zuwendung?
  • Du hast Probleme über deine Gefühle zu sprechen?
  • Du lässt es nicht zu, über gemeinsame Zukunftspläne zu sprechen?
  • Du hast generell Schwierigkeiten, enge Freundschaften einzugehen?

Auslöser für Bindungsangst

Für Betroffene, die unter Bindungsangst leiden, können schon Kleinigkeiten zum Auslöser werden: Wenn der Partner in der Öffentlichkeit die Hand nimmt, wenn es darum geht, gemeinsam in den Urlaub zu fahren oder die eigenen Eltern vorzustellen.

Oft tritt die Angst aber auch erst bei größeren Schritten als unüberwindbar auf, beispielsweise wenn es darum geht zusammenzuziehen, zu heiraten oder sich für ein Kind zu entscheiden. Bei jedem, der von Bindungsangst betroffen ist, kann etwas anderes dazu führen, dass es ihm zu viel wird, dass er sich nicht mehr imstande fühlt, eine Beziehung fortzusetzen und die Flucht ergreift.

Was Menschen mit Bindungsangst oft in Panik versetzt, sind Beziehungsverhalten wie:

 

  • Nähe
  • Verbindlichkeit
  • Eifersucht
  • Exklusivität
  • Langfristigkeit

Die enge Beziehung, die sie sich eigentlich wünschen, macht ihnen dann, wenn ein Partner da ist, so viel Angst, dass sie mit Abweisung und Distanz reagieren. Es kann sogar vorkommen, dass sie ihrem Partner eine unverbindliche Beziehung vorschlagen, eine Art Mingle, um den Partner nicht ganz zu verlieren.
Mingle ist eine Wortneuschöpfung aus den englischen Wörtern mixed, also gemischt, und Single. Wer sich selbst so bezeichnet, der betrachtet sich als Single, ist aber gleichzeitig zeitweise in einer Beziehung.

Gehen Menschen mit Bindungsangst Beziehungen ein?

Auch bindungsängstliche Menschen gehen feste Partnerschaften ein. Eine Studie fand heraus, was es braucht, damit diese gelingen kann.

Betroffene benötigen viel Bestätigung von ihrem Partner, damit sie sich einerseits sicher fühlen und andererseits auch ihre Autonomie leben können. Das bedeutet, dass sie selbst bestimmen können, wie viel Nähe sie zulassen und wie viel Zeit sie mit sich selbst verbringen können. Können sie dieses Verhältnis selbst ausbalancieren, verringert sich ihre Angst mit der Zeit deutlich, so das Fazit einer Studie. Das ist nachvollziehbar, denn die beiden Verhaltenssysteme Bindung und Exploration sind auf wichtige Art und Weise miteinander verknüpft.

Mehr als 300 frischverheiratete Personen wurden im Rahmen einer Studie zweimal befragt, wobei zwischen den Befragungen ein Jahr verging. Die Studie zeigt: Erlebten Betroffene von ihrem Partner die Unterstützung ihrer Bedürfnisse sowohl nach Nähe als auch nach Autonomie, ging die Angst im Lauf der Zeit zurück. Wurden sie nur in einer Hinsicht bestätigt, änderte sich ihre Angst während dieser Zeit nicht.

Partner leiden meist selbst auch unter Bindungsangst

Doch Vorsicht: Wer denkt, der Partner sei das Problem, weil der sich nicht wirklich binden könne, der übersieht meist einen großen blinden Fleck bei sich selbst. Wer sich auf einen Menschen mit Bindungsangst einlässt, hat meist selbst Schwierigkeiten, sich vertrauensvoll zu binden. An dem anderen herumzudoktern, statt die eigenen Themen anzugehen, das kann ein großer Fehler sein und auch verhindern, eine wirklich erfüllende Beziehung zu erleben.
Auf das Fallbeispiel zurückzukommen: Daniel hat massive Bindungsprobleme. Sarah allerdings auch. Beide befinden sich in einem Teufelskreis aus Flucht und Näherungsversuchen. Je mehr Daniel flieht, desto mehr klammert Sarah. Je mehr Sarah versucht, sich von Daniel zu lösen, desto interessanter wird sie für ihn.

Auch wenn Sarah das vielleicht nicht bewusst ist: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, würde sie es noch gar nicht aushalten, einen Mann an ihrer Seite zu haben, der sich wirklich committet, also exklusiv und verbindlich auf sie einlässt. Im Grunde gibt ihr Daniels Fluchtverhalten die Sicherheit, sich überhaupt auf ihn einzulassen – auch wenn sie das nicht bewusst weiß und sehr unglücklich damit ist.
Das eigene Bindungsmuster, das eigene Beziehungsmuster ist erlernt. Die Aufmerksamkeit und Liebe, die das Kind bekam, die Bedingungen oder Erwartungen, die Mutter oder Vater an das Kind stellten, all das spielt später eine große Rolle, ob und wie sich ein Mensch binden kann. Das Kind erlebt Mutter und Vater. Die Beziehung, die die beiden miteinander führen, ist entscheidend für die Art und Weise, wie der Erwachsene später selbst eine Beziehung führen kann oder eben so auf keinen Fall wiederholen möchte. Selbst wenn die Mutter oder der Vater gar nicht in der Familie leben, ist das so. Denn der Elternteil, der fehlt, weil er verlassen wurde, gegangen oder gestorben ist, lebt in seiner Rolle auch weiterhin in der Familie.

Bindung ist ein Grundbedürfnis

Unter Bindung versteht man ein lang andauerndes, affektives Band zu ganz bestimmten Personen, die nicht ohne weiteres auswechselbar sind und deren Nähe und Unterstützung gesucht wird, wenn beispielsweise Furcht, Trauer, Verunsicherung und Krankheit in einem Ausmaß erlebt wird, das nicht mehr selbstständig zu regulieren ist.
Bindungs- und Beziehungsmuster sind erlernt. Eine feste Bindung einzugehen, gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Ein kleines Baby wäre ohne eine Bezugsperson nicht lebensfähig. Mehr als jedes andere Lebenswesen ist es auf Schutz und Unterstützung angewiesen. Ein Baby erlernt zunächst in einer Zweierbeziehung, meist durch seine Mutter, dass es darauf vertrauen kann, dass seine Bedürfnisse nach Nähe und Geborgenheit befriedigt werden. Im Vergleich mit Tieren ist der Mensch viele Jahre darauf angewiesen, dass er mit Nahrung, Kleidung, Obdach und Nähe, Liebe oder auch dem Gefühl, beschützt zu sein, versorgt wird. Der kleine Mensch ist ebenso darauf angewiesen, dass er bei der Regulation seiner Emotionen unterstützt wird, denn es kann sich noch nicht selbst regulieren.
Unter Selbstregulation versteht man die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen zu kontrollieren und angemessen auf verschiedene Situationen zu reagieren. Co-Regulation dagegen ist ein Prozess, bei dem Bezugspersonen und Kinder ihre Emotionen, Stimmungen und Reaktionen aufeinander abstimmen. Das bedeutet, dass Co-Regulation über das bloße Beruhigen hinausgeht, die Bezugsperson sich so auf das Kind einstellen kann, dass sie seine Signale versteht und angemessen darauf reagiert.
Wenn beispielsweise die Mutter den Raum verlässt, weiß der Säugling noch nicht, dass die Mutter gleich wieder kommt. Der Säugling kann je nach Befinden eine starke Verlustangst erleben und weinen. Um sich wieder beruhigen zu können, braucht es die Nähe und den Trost der Mutter, wenn sie wieder in den Raum kommt. Empfindet ein Säugling Hunger, dann erlebt er Schmerzen und Todesängste, denn der kleine Mensch kann weder all die Gefühle einschätzen noch weiß er, dass er so schnell es geht gestillt oder gefüttert wird, abstrahieren kann er ja noch nicht.
Diese Unterstützung, also die Co-Regulation, muss das Kind nicht unbedingt von der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater erfahren. Wichtig ist allerdings, dass es eine oder mehrere feste Bezugspersonen hat, die nicht ständig wechselt.
Selbstregulation und Co-Regulation spielen aber auch im Erwachsenenleben eine große Rolle, vor allem, wenn es um die Gestaltung einer intimen Beziehung geht.

Bindungsfähigkeit bestimmt Qualität einer Beziehung

Kinder nutzen unterschiedliche Strategien in Bezug auf ihre Bezugspersonen, zum Beispiel wenn sie Angst haben. Manche Kinder suchen die Nähe zur Bezugsperson und lassen sich mit ihrer Hilfe beruhigen. Bei anderen hat man den Eindruck, sie vermeiden den Kontakt oder sind nicht dazu in der Lage, ihn zu suchen. Wieder andere teilen intensiv ihr Nähebedürfnis mit, klammern sich an, aber schaffen es nicht, sich mithilfe der Bezugsperson zu regulieren.
All diese Muster wurden bei Einjährigen und ähnlich in späteren Entwicklungsphasen beschrieben.
Erklärt wird das durch ein inneres Arbeitsmodell von Bindung. Der Begriff stammt aus der Bindungsforschung und bezieht sich auf die verinnerlichten Bindungserfahrungen, die das Kind von Geburt an (vorerst) mit der Mutter oder der primären Bezugsperson, später mit anderen wichtigen Bezugspersonen macht. Dabei wird aus den vielen bindungsbezogenen Beziehungserfahrungen mit der Mutter, also vor allem Erfahrungen mit Trennung, mit den Reaktionen der Mutter in angstmachenden oder das Kind überfordernden Situationen eine Art Durchschnittserfahrung gebildet.
In den 1980er Jahren ging man noch davon aus, dass eine sichere Bindung in frühen Jahren lebenslang bestehen bleiben würde. Heute weiß man, dass frühkindliche Bindungsqualität kein feststehendes Merkmal im Sinne einer unüberwindlichen Prägung ist. Menschen, die als Kinder ungünstigere Bindungserfahrungen gemacht haben, diese Erfahrungen aber verarbeiten konnten, können als Erwachsene durchaus imstande sein, sich sicher zu binden.

Die Bindungstheorie von John Bowlby

Die Bindungstheorie wurde ab den 1940er Jahren vom Kinderpsychiater John Bowlby entwickelt. Demnach haben Menschen ein angeborenes Bedürfnis, enge emotionale Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Sie beginnen nach Bowlby im Säuglingsalter mit einer engen Beziehung zwischen dem Kind und seiner Mutter oder einer anderen nahen Bezugsperson. Im Falle von Gefahr sucht das Kind Schutz und Beruhigung bei seinen Bezugspersonen. Wenn das Kind den Wunsch nach Nähe und Kontakt spürt, sucht es die Nähe seiner Bezugspersonen. Hat das Kind die Nähe, die es braucht, fühlt es sich sicher und kann sich der Umgebung zuwenden und sie interessiert erkunden. Für die Qualität von Bindungen im späteren Leben ist nach Bowlby entscheidend, wie feinfühlig die Bezugspersonen auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren, also wie unmittelbar und angemessen sie auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren. Nach Bowlby sind die ersten sechs Lebensmonate die Zeit, die das spätere Bindungsverhalten am stärksten prägen. Aber auch spätere günstige oder ungünstige Bindungserfahrungen, etwa in der späteren Kindheit, in der Jugend oder im Erwachsenenalter können das Bindungsverhalten beeinflussen. Neuere Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass neben der Beziehung zur Mutter auch die Beziehung zum Vater und anderen nahen Bezugspersonen wichtig ist. Um stabile Bindungen aufzubauen, ist nicht unbedingt eine einzige, zentrale Bindungsperson notwendig. Eine gute Bindungsfähigkeit ist auch möglich, wenn das Kind mehrere, wechselnde Bindungspersonen hat, wenn es beispielsweise zeitweise von einer Pflegemutter betreut wird. Studien haben gezeigt, dass bei zwischenmenschlichen Bindungen Botenstoffe im Gehirn, so genannte Neurotransmitter, eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören das Bindungshormon Oxytocin, das sogenannte Belohnungshormon Dopamin und endogene Opioide. Sie werden bei Berührungen und zwischenmenschlicher Nähe ausgeschüttet und lösen positive Gefühle und das Gefühl von Nähe und Verbundenheit aus. Das führt dazu, dass jemand die Nähe zu diesem Menschen immer wieder erleben möchte und eine Bindung zu dieser Person entwickelt.

Welche Bindungstypen gibt es?

Bowlby unterscheidet zwischen vier Bindungstypen:

  • Bindungstyp A: unsicher-vermeidende Bindung.
  • Bindungstyp B: sichere Bindung.
  • Bindungstyp C: unsicher-ambivalente Bindung.
  • Bindungstyp D: unsicher-desorganisierte Bindung.

Mary Ainsworth, eine Mitarbeiterin von John Bowlby, entwickelte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine experimentelle Situation, mit der sich unterschiedliche Bindungstypen von einjährigen Kindern nachweisen lassen: den sogenannten Fremde-Situations-Test. Dabei wird das Verhalten des Kindes beobachtet, wenn es kurzzeitig von seiner Mutter getrennt ist, das Kind mit einem fremden Menschen einen kurzen Moment allein ist und die Mutter anschließend wieder zurückkehrt.

Diese Tests dienten als Grundlage, vier Bindungstypen zu unterscheiden: ein sicherer Bindungstyp und drei unsichere Bindungstypen, der vierte Bindungstyp, der desorganisierte, wurde allerdings erst nachträglich eingeführt, da einige Kinder nicht zuverlässig zuzuordnen waren.
Das Bindungsverhalten von Kindern kann allerdings sehr vielfältig sein und die verschiedenen Bindungstypen können individuell unterschiedlich ausgeprägt sein.

Der sichere Bindungstyp (B-Typ)

Diese Kinder reagieren bei einer zeitweisen Trennung mit Weinen und Schreien. Wenn die Bezugsperson jedoch wieder zurückkehrt, suchen sie ihre Nähe und beruhigen sich dann schnell. Die Kinder verleihen ihren Gefühlen offen Ausdruck. Es wird angenommen, dass die Bezugspersonen diesen Kindern Sicherheit, Verlässlichkeit und die notwendige Nähe gegeben haben. Als Erwachsene haben sie ein gutes Selbstwertgefühl, sind empathisch und haben eine positive Sicht von sich selbst und anderen Menschen. Es fällt ihnen leicht, Kontakte zu anderen Menschen zu knüpfen und ihnen emotional nahezukommen. Sie fühlen sich wohl in nahen, verlässlichen Beziehungen und zugleich autonom, so dass sie kein Problem damit haben, zeitweise allein zu sein.

Unsicher-vermeidender Bindungstyp (A-Typ)

Diese Kinder schreien und weinen bei einer vorübergehenden Trennung. Wenn die Bezugsperson zurückkommt, sind sie kaum zu beruhigen und verhalten sich widersprüchlich: Sie klammern sich an die Bezugsperson und reagieren gleichzeitig aggressiv oder wehren jede Zuwendung ab. Sie wirken wie hin- und hergerissen zwischen ihrem Bedürfnis nach Nähe und gleichzeitig Wut auf die Bezugsperson. Man nimmt an, dass diese Kinder Bezugspersonen hatten, die sich nicht verlässlich und vorhersagbar verhielten. Als Erwachsene verhalten sich die Betroffenen ambivalent: Einerseits wünschen sie sich intensive Nähe, andererseits flüchten sie möglicherweise im nächsten Moment davor.

Desorganisierter Bindungstyp

Dieser Bindungstyp tritt bei Kindern auf, die schwere Vernachlässigung erlebt haben oder misshandelt oder sexuell missbraucht wurden. Die Kinder wissen nicht, wie sie sich ihren nahen Bezugspersonen gegenüber verhalten sollen. Sie sind häufig traumatisiert und zeigen auffällige und bizarre Verhaltensweisen: Sie drehen sich zum Beispiel im Kreis, schaukeln hin und her oder erstarren. Die Kinder brauchen die Bezugsperson zum Schutz und für ihre Versorgung, was für sie gleichzeitig eine Bedrohung darstellt. Nicht selten ist die nahe Bezugsperson selbst traumatisiert oder leidet an einer psychischen Erkrankung. Sie kann daher dem Kind keinen Schutz bieten und überträgt ihre eigenen Ängste auf das Kind. Als Erwachsene verhalten sich diese Kinder gegenüber anderen Menschen oft wenig zuverlässig und berechenbar. Sie wünschen sich einerseits nahe Beziehungen, finden es aber schwierig, anderen voll zu vertrauen. Sie fürchten, verletzt zu werden, wenn sie zu große Nähe zulassen.

Zusammenhänge mit späterem Bindungsverhalten

Nach Bowlby entwickelt das Kind durch die frühen Bindungserfahrungen bestimmte Erwartungen gegenüber zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese prägen sein späteres Verhalten in Beziehungen. Tatsächlich haben Studien deutliche Zusammenhänge zwischen dem frühkindlichen Bindungsverhalten und dem späteren Bindungsverhalten bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gezeigt, zum Beispiel in Partnerschaften. Außerdem wurden deutliche Zusammenhänge zwischen dem Bindungstyp der Eltern und dem späteren Bindungstyp der Kinder nachgewiesen. Darüber hinaus gibt es deutliche Zusammenhänge zwischen einer sicheren Bindung und psychischer Stabilität im späteren Leben sowie zwischen unsicheren Bindungstypen und psychischen Beeinträchtigungen im späteren Leben. Die ursprüngliche Meinung Bowlbys, dass sich Bindung auf eine Person hin entwickelt, wurde jedoch von der Annahme einer Hierarchie von Bindungspersonen abgelöst. Heute geht man davon aus, dass das Kind im Laufe des ersten Lebensjahres gleichzeitig Beziehungen zu mehreren Bindungspersonen herstellen kann. Die Bindungspersonen nehmen dabei häufig eine bestimmte Rangfolge ein, an deren Spitze die primäre Bezugsperson steht. Zu den Faktoren, die darüber entscheiden, welche Bindungsfigur ganz oben auf der Liste steht, gehört laut Karl Heinz Brisch, Kinder- und Jugendpsychiater: wie viel Zeit die Person dem Kind widmet, welche Qualität die Zuwendung hat, wie groß das emotionale Engagement des Erwachsenen ist und ob die Person regelmäßig zur Verfügung steht (Brisch, 2001, S.16). Dabei können unterschiedliche Bindungsmuster gegenüber verschiedenen Personen entwickelt werden. So kann das Kind beispielsweise bei der Mutter ein sicheres Bindungsmuster zeigen, beim Vater dagegen ein unsicher–ambivalentes. Bindungsforscher wie Brisch gehen davon aus, dass Bindungsmuster lebenslang wirken und einen Einfluss auf die Gestaltung von Beziehungen und auf das Mobilisieren von Unterstützung haben. Die Bindungstheorie von Bowlby hat der Fachwelt ein Modell an die Hand gegeben. Der Psychoanalytiker Peter Fonagy dagegen hat das Konzept der Mentalisierung entwickelt, indem er die kognitive Entwicklungspsychologie und die Bindungsforschung mit der Psychoanalyse verbunden hat. Mentalisierung meint die Fähigkeit, anderen und sich selbst mentale Zustände wie Intentionen (Absichten), Wissen, Überzeugungen, Gefühle und Gedanken zuschreiben zu können. Dadurch kann das Verhalten anderer erklärt und vorhergesagt werden. Die Entwicklung dieser Fähigkeit stellt eine Entwicklungsleistung dar, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Kontext einer sicheren Bindungsbeziehung erworben wird. In Untersuchungen von Fonagy konnte festgestellt werden, dass die Fähigkeit der Eltern, eigenes und fremdes, mentales Befinden zu reflektieren, ein sehr guter Prognosefaktor für die Bindungsfähigkeit des Kindes war. Das bedeutet, dass sich durch eine Bezugsperson, die in der Lage ist, die innere Befindlichkeit des Kindes wahrzunehmen und angemessen zu reflektieren, die Wahrscheinlichkeit der sicheren Bindung des Kindes erhöht. Das Kind findet sich selbst im Gesicht der Bezugsperson widergespiegelt und diese Antwort wird zur inneren Repräsentation. Dadurch wir die Emotion mentalisiert: das ist es, was ich fühle (Bedeutung) wird begleitet von: sie reagiert auf mich (Kontrolle), es ist wichtig, was ich fühle (Trost). Die Bindung im ersten Lebensjahr ist nicht ausschließlich für die weitere Bindungsentwicklung entscheidend und lässt keine absolute Vorhersage zu. Vielmehr spielen weitere Einflüsse eine große Rolle, wie die Ergebnisse aus der Forschung von Schutz- und Risikofaktoren zeigen.

Wie kann man Bindungsangst überwinden?

Die Art und Weise, wie wir uns binden und Beziehungen eingehen wird in der Kindheit grundgelegt, sie stellt aber kein Schicksal dar. Im Elternhaus oder bei den ersten Bezugspersonen haben wir zwar gelernt, ob wir als liebenswert erachtet wurden oder ob wir uns auf unsere Bezugspersonen verlassen konnten. Diese Prägungen beeinflussen unser Beziehungsleben ganz erheblich. Doch das Bild, das man sich tief im Inneren von Liebe gemacht hat, kann man korrigieren. Und man kann auch als Erwachsener die Fähigkeiten erlernen, die es braucht, eine Beziehung zu gestalten, die genug Freiraum lässt, um sich frei bewegen zu können und gleichzeitig das Maß an Nestwärme, das man braucht, um sich zugehörig und sicher zu fühlen, bietet. Um zu unserem Fallbeispiel zurückzukehren: Da Daniel und auch Sarah nicht nur die Muster sind, die sie erlernt haben, sondern eigenständige Individuen, wiederholen sie eben nicht eins zu eins, was ihnen zuhause vorgelebt wurde. Sarah weiß, dass nicht jeder Mann gut für sie ist. Daniel weiß, dass er nicht ganz allein leben will. Das Geheimnisvolle, das Sarah inzwischen als Unnahbarkeit bezeichnen würde, gibt Sarah die Sicherheit, dass sie sich doch nicht an einen Mann ausliefern würde, wie es ihre Mutter getan hat. Und weil andererseits Sarah immer wieder auf Abstand geht, hat Daniel die Sicherheit, dass er einen Schritt auf Sarah zugehen kann, ohne in einen Strudel von Destruktivität gezogen zu werden. In einer Beratung oder Therapie könnte sich Daniel sein eigenes Beziehungsmuster anschauen. Er würde sich daran erinnern, dass Mutter und Vater sehr oft gestritten haben und irgendwann die Teller flogen. Daniel erkannte als kleines Kind, dass Beziehung etwas mit Macht und Gewalt zu tun hat, dass er sich schützen muss und dass er besser daran ist, wenn er sich auf niemanden wirklich tief einlassen würde. Sarah könnte erkennen, dass sie schon als kleines Mädchen erlebt hatte, dass ihre Mutter immer wieder verlassen wurde. Sarah hatte es sozusagen gelernt, dass es irgendwie normal ist, sich an einen Mann zu klammern, sobald einer da ist. Eine Single Therapie oder eine Psychotherapie können dabei helfen, die Bindungsangst zu überwinden und die eigene Bindungsfähigkeit zu verbessern. Wer darunter leidet, ob aktiv oder passiv, dem kann es helfen, gemeinsam mit seinem Partner in einer Paartherapie an diesem Thema zu arbeiten. Single Therapie für junge Frauen und Männer: In einer Gruppe von vier bis maximal sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmern lernst du dein eigenes Beziehungsverhalten und deine Beziehungsstrategien besser kennen und verstehen. Was noch viel wichtiger ist: Du wirst im Laufe des Kurses mehr Selbstwertgefühl und Vertrauen entwickeln, beides Basis eines gesunden Bindungsverhaltens. Du wirst erkennen, dass deine Wünsche und Sehnsüchte dir den Weg zu der Lebensform, die wirklich zu dir passt, weisen. Indem du dich von negativen und belastenden Einstellungen trennst, wirst du selbstverständlicher auf die Menschen zugehen, die dir guttun. Warum in der Gruppe? Neues in einer Gruppe Gleichgesinnter zu lernen, hat den Vorteil, dass ihr euch gegenseitig bestärkt und ermuntert, einen neuen Weg in Liebesdingen einzuschlagen. Ihr begleitet euch ein Jahr lang. Ihr gebt euch gegenseitig Feedback, was schon besser läuft. Ihr seid eure Ansprechpartner, wenn Zweifel und Ängste aufsteigen. Gemeinsam feiern wir eure Erfolge! Warum ein ganzes Jahr? Um ein neues Verhalten zu entwickeln und einzuüben, bedarf es einer gewissen Zeit. Die regelmäßige Arbeit an euren Themen, die feste Struktur der Sitzungen vor Ort und der Online-Termine, der häufige Austausch untereinander helfen euch, einen wirklich neuen Weg einzuschlagen. Vor Ort: Einmal im Monat einen ganzen Samstag Online: Einmal pro Woche abends Austausch untereinander: Über das Medium eurer Wahl, so häufig ihr möchtet und es benötigt. Schweigepflicht:

Selbstwertgefühl und Vertrauen – die Basis einer gesunden Bindung

Wenn Eltern ihr Kind liebevoll versorgen, dann erfüllen sie nicht nur dessen Bindungswunsch, sondern stärken auch sein Selbstwertgefühl. Das Kind fühlt sich geliebt und angenommen und entwickelt die Überzeugung, dass es gut so ist, wie es ist.
Wenn es den Eltern dann noch gelingt, ihr Kind auch in seiner autonomen Entwicklung zu fördern, es also zu einem selbständigen Menschen zu erziehen, dann hat auch dies einen sehr positiven Effekt auf dessen Selbstwerterleben. Denn das Kind lernt auf diese Weise, dass es etwas bewirken und sich behaupten kann. Im Vertrauen auf seine Abgrenzungsfähigkeit fühlt es sich zwischenmenschlichen Beziehungen nicht ausgeliefert, sondern weiß, dass es diese mitgestalten kann. Die elterlichen Prägungen, die man in der Kindheit erwirbt, werden in der Psychologie mit dem Persönlichkeitsanteil des „inneren Kindes“ beschrieben. Jeder trägt solche Prägungen in sich – positive wie negative –, und sie sind ein wesentlicher Teil eines inneren „Beziehungsprogramms“.
Menschen, deren Bindungs- und Autonomiebedürfnisse durch die Eltern gut erfüllt worden sind, erlernen ganz automatisch jene sozialen Fähigkeiten, die für die Bindung und für die Autonomie wichtig sind. Zwischenmenschliche Bindungen verlangen, dass die Beteiligten aufeinander zugehen, sich öffnen, Kompromisse finden, sich integrieren, hinwenden, nachgeben und aneinander festhalten. Dafür ist Anpassungsfähigkeit gefragt. Um dagegen autonom handeln zu können, muss man einen klaren eigenen Willen verspüren, diskutieren, argumentieren, streiten, sich durchsetzen und eventuell trennen können. Die Emotion, die diese Fähigkeiten unterstützt, ist im positiven Sinne Aggression.

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